Ort und Zeit
Ende März 2020
Ende März 2020
So schlimm ist es gar nicht. Zumindest nicht so schlimm , wie man meinen möchte, wenn man rund um die Uhr Corona-Nachrichten hört oder liest. Man kann sich erfreulich sicher und frei bewegen in unserer Stadt. Für alle, die es noch nicht gemerkt oder schon vergessen haben: In München herrscht seit 1 Woche eine Ausgangsbeschränkung. Letzten Freitag, als Ministerpräsident Söder diese verkündete, saßen mein Freund Arno und ich noch auf ein letztes gemeinsames Bier im Schneider Bräu in Berg am Laim. Wenig später waren die Schotten dicht. Der Stadt wurde die Luft rausgelassen.
Heute, eine Woche später, waren meine Frau und ich auf dem Radl unterwegs. Frische Luft schnappen ist ja noch erlaubt. Anders als in Italien oder Spanien, wo Menschen in ihre Wohnung verbannt sind. Dagegen ist unser Leben, im Moment noch, in weiten Zügen unbeschadet. Beim groben Hinschauen zumindest.
Am Samstagmorgen des 28. März wache ich um 9:07 Uhr auf. Wurde ein bisschen später gestern bei Fußball-Videos aus den vergangenen vier Jahrzehnten. Alte Pokalspiele – ich empfehle Gladbach gegen Bremen aus 1984 – sind immer noch besser als eine unbemannte NDR-Talkshow. Barbara Schönbergers Witze ohne Publikums-Lacher zu schauen, schien mir ein Stück weit zu sadistisch.
Ich schlage die Augen auf. Die Sonne blinzelt durch die Jalousien. Zwei Sekunden später schießt, wie eine Druck-Infusion, die ernüchternde Mahnung in den Kopf: „Das hätte ein Tag mit Tennis und Biergarten werden können. Draußen herrscht aber Ausnahmezustand. Also Erwartungshaltung und Tagesplan anpassen!“
Das gelingt zum Start in den Tag noch ganz passabel. Das Frühstück mit Kaffee, Obst und Tzatziki hätte in seiner heutigen Form auch im März 2019 stattfinden können. Vorausgesetzt ich hätte vorher nicht aufs Smartphone geschaut oder gar Radio gehört.
Ich hätte unbeschwert aus der Tür schreiten und Richtung Metzger und Bäcker schlendern können. Aber ohne Nachrichten hätte ich mir nicht erklären können, wieso sich auf dem Bürgersteig vor den Läden lange Schlange bilden. Sind die Weißwurstpreise im Keller? Gibt’s endlich wilde Fledermaus-Leber in Haidhausen? Aber das wäre ja schon wieder Insider-Wissen gewesen…
Es sind kaum Menschen auf der Straße. Keine Schlagen an den Ampeln am Rosenheimer Platz. Paradoxer Weise kommt man erst in der Ausgangsbeschränkung an, wenn man das Haus verlässt. Heute wollten wir das in vollen Zügen genießen. Wer weiß, wann die Gelegenheit wiederkäme. Wir entscheiden uns für eine Radtour durch die Altstadt über Schwabing Richtung Hasenbergl, Milbertshofen und via Oberföhring an der Isar entlang zurück nach Haidhausen. 30 km durch München mitten in Corona Zeiten. Bei schönstem Wetter. Ohne Biergarten-Stopp. Ohne Eis. Die wichtigsten Erkenntnisse unserer München-Reise am 28. März 2020:
Ganz ehrlich: Mir geht die Spinnerei auf die Nerven. 24/7 Corona News. Leute, die sich an der Wand vorbeidrücken, die Straßenseite wechseln oder erschrecken, wenn jemand niest. Mein Eindruck ist, dass der Corona Modus sich bei den meisten begrenzt auf eine panische Angst, selber infiziert zu werden. Es wird ja immer davon gesprochen, dass der Virus uns stärker zusammenschweißt als Gesellschaft und sich mehr Achtsamkeit breit machen würde. An dem Punkt sind wir noch lange nicht angelangt.
Mein Rezept ab heute: Keine Corona Nachrichten mehr hören oder lesen. Ich lebe diszipliniert weiter, bis der Spuk ein Ende hat. Damit ich keinen anderen gefährde und unser Leben und unsere Stadt schnell wieder normal werden. Ich werde auch ohne Corona Ticker sofort mitbekommen, wenn die Biergärten wieder voll und die Tennisanlagen wieder geöffnet sind.
Bis dahin vermisse ich unsere Kinder, unsere Freunde, meine Fußballmannschaft, das 60er Stadion, unseren Tennis-Park, das Bier im Wirtshaus, den Wein beim Italiener… Das darf ja mal gesagt werden. #lebbegehtweier
Es ist Anfang April. Wir gehen in die dritte Woche der Ausgangsbeschränkungen und die Stadt wirkt wie ein angestochener Luftballon, aus dem immer mehr Luft entweicht. An einem wunderschönen Sonntag waren die Autobahnen um München wie leergefegt. Sollte jemand am Tegernsee unterwegs sein – ist er wohl zu Fuß angereist. Wo am Montagmorgen sonst die Autos in die Stadt drängen, kann man heute blind die Straßen queren. Die Chance, dass man von einem Auto erfasst wird, ist gering.
Selbst an der Isar und im Englischen Garten lichten sich die Reihen der Spaziergänger. Einkaufsregelungen in Supermärkten werden routiniert durch gespielt von Personal und Kunden: nur 1 Kunde pro Familie; jeder kauft nur soviel, wie er braucht… Hamsterer sind öffentlich geächtet. Mir scheint, der Ausnahmezustand wird immer mehr zum Normalzustand. Ein Rückkehr zum früheren Lebensstil erscheint unwahrscheinlich. Die Sehnsucht gilt im ersten Schritt einer Lockerung der Bestimmungen und dann der Hoffnung auf eine gute neue Zukunft!
Thomas Bily, Welfenstrasse 68, 81541 München
Telefon +49 151 580 550 91, E-Mail info@rockingtravel.com
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